Burchardstr. 19
20095 Hamburg
Investitionen sind wichtiger als das Symbol „schwarze Null“
Impulspapier von Danyal Bayaz und Anja Hajduk
Wir haben die Einführung der Schuldenbremse vor zehn Jahren sehr begrüßt. Der Schuldenstand der Bundesrepublik war damals auf über 80% des Bruttoinlandsprodukts gestiegen, deutlich über der EU-Vorgabe von 60%. Wir wollten nicht, dass der Handlungsspielraum künftiger Generationen durch einen gigantischen Schuldenberg verbaut wird. Wenn Bund und Länder sich freiwillig Fesseln anlegen, so die Hoffnung, dann würden sie bei den Ausgaben die richtigen politischen Prioritäten setzen.
Zehn Jahre später müssen wir ernüchtert feststellen: Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Der Handlungsspielraum jüngerer Generationen in unserem Land ist heute nicht so sehr durch einen zu hohen Schuldenstand gefährdet, sondern durch eine marode Infrastruktur und ausbleibende Zukunftsinvestitionen.
Der Bundeshaushalt hat seit 2014 kontinuierlich Überschüsse erzielt. Hätte man zumindest seither stärker auf Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und Netze, in Klimaschutz und ökologische Modernisierung sowie in Bildung und Forschung gesetzt, müsste uns um die Zukunft weniger bange sein. Doch es ist politisch einfacher, solche Investitionen auf die lange Bank zu schieben als auf kurzfristig spürbare Transferleistungen zu verzichten. Das ist die politische Praxis, wie sie insbesondere von der Bundesregierung gelebt wird.
Das Baukindergeld wird zehn Mrd. Euro kosten, die städtischen Wohnungsmärkte wird diese Maßnahme jedoch nicht entspannen. Die Rente mit 63, die Mütterrenten I und II kosten jedes Jahr rund zwölf Mrd. Euro. Eine zielgenaue Bekämpfung von Altersarmut findet damit jedoch nicht statt. Außerdem fehlt der Mut, die umweltschädlichen Subventionen von mehr als 50 Mrd. Euro pro Jahr endlich zurück zu führen. Das konterkariert massiv den Klimaschutz.
Zugleich knausert die Bundesregierung bei Investitionen in Zukunftsfelder wie Künstliche Intelligenz. Der Ausbau des schnellen Internets kommt nicht voran. Alle sind sich einig, dass Digitalisierung nicht nur in Wohnzimmern und Kinderzimmern stattfinden sollte, sondern auch in der Schule. Doch beim vereinbarten Digitalpakt für die Schulen klafft plötzlich eine Milliardenlücke.
Es ist nach wie vor richtig, der Staatsverschuldung und insbesondere konsumtiven Ausgaben harte Grenzen zu setzen. Wenn der Staat aufgrund fraglicher Prioritäten und trotz Überschüssen auf wichtige Zukunftsinvestitionen verzichtet, stellt sich die Frage, ob es nicht besser ist, flankierende Instrumente für Investitionen ins Leben zu rufen.
Es ist ein Irrweg, die „schwarze Null“ schon als Symbol solider Haushaltsführung zu betrachten. Das sagen wir als Finanzpolitiker, die die Schuldenbremse grundsätzlich gutheißen. Nullverschuldung kann eine wichtige, Vertrauen bildende symbolische Funktion erfüllen, gerade nach einer langen Phase stetiger Verschuldung. Wenn sie allerdings ohne Abwägung der Verhältnisse zu einem bloßen Selbstzweck wird, gerät aus dem Blick, dass Schulden und Investitionen per se weder gut noch schlecht sind. Entscheidend ist, dass sie sich langfristig rechnen. Es wird Zeit, die Fenster zu öffnen und wieder sachlich über Investitionen, Sparen und Kreditaufnahme zu diskutieren.
Bund, Länder und Kommunen müssen gezielt und stetig in die Infrastruktur, in Bildung und Forschung investieren. Das scheint uns die größte politische Herausforderung des nächsten Jahrzehnts zu sein angesichts der demographischen Entwicklung und des dynamischen technologischen Wandels, der alle Lebensbereiche wie Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheit oder Verkehr umfasst. Daran entscheidet sich, ob wir auch künftig Lebensqualität erwirtschaften und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Land herstellen, ob wir Innovationen schaffen und die Klimakrise durch ökologische Modernisierung bewältigen.
Die Schuldenbremse verpflichtet uns zum ausgeglichenen Haushalten, aber sie verpflichtet uns eben nicht zielgerichtet zum Investieren. Wir sollten sie daher mit einer Investitionsregel ergänzen. Eine solche Investitionsregel sollte sicherstellen, dass das öffentliche Vermögen wieder wächst. Entscheidend ist, dass die öffentliche Hand sich offensichtlich dazu zwingen muss, kontinuierlich Zukunftsinvestitionen zu tätigen, die sich langfristig rechnen. Der Bedarf ist immens. Die Chancen sind es auch. Allerdings auch das Risiko, wenn wir diesem Investitionsbedarf nicht nachkommen.
1. Was ist das Problem? Unsere Infrastruktur ist veraltet und marode
Während sich der Bundesfinanzminister für einen ausgeglichenen Haushalt feiert, erinnert das digitale Netz Deutschlands an ein Entwicklungsland. Der Anteil von
Glasfaseranschlüssen, der schnellsten Internet-Technologie, an allen stationären Breitbandanschlüssen beträgt gerade einmal 2,6%. Innerhalb der OECD sind wir damit im Tabellenkeller.
Auch beim Zugang zu schnellem, mobilem Internet (LTE-Netz) liegt Deutschland im europäischen Vergleich ganz hinten, während unser Nachbarland Niederlande Spitzenreiter ist. Gerade ländliche Regionen sind von schnellem Internet abgehängt. Für Unternehmen ist der Zugang allerdings eine harte Standortfrage. Von der von Bundesregierungen versprochenen flächendeckenden Grundversorgung sind wir weit entfernt.
Das Versagen beim Ausbau der digitalen Infrastruktur verheißt nichts Gutes für das Megathema Künstliche Intelligenz (KI) in Deutschland. Die Bundesregierung hatte
angekündigt, bis 2025 drei Mrd. Euro zusätzlich in die Entwicklung von KI zu investieren. Das ist nicht viel angesichts der Bedeutung dieser Zukunftstechnologie, die unsere Wirtschaft und damit die Grundlage unseres Wohlstands grundlegend verändern wird. Doch jetzt ist selbst diese bescheidene Summe fraglich. Sie ist laut Haushaltsplanung der Bundesregierung inzwischen auf eine Milliarde bis 2023 geschrumpft.
Wir waren es gewohnt, technologisch stets an der Spitze zu sein, während hinter uns ein Wettlauf um den zweiten Platz stattfand. Bei KI allerdings liegen die USA und China weit vorne. Ob wir und Europa aufschließen werden, hängt auch an der Bereitschaft, massiv in KI zu investieren und Talenten eine gute Perspektive zu bieten. Wir diskutieren über drei Mrd. Euro bis 2025 und landen dann bei einer Milliarde Euro bis 2023. Shanghai alleine kündigt an, in den kommenden Jahren fünfzehn Mrd. Euro in KI zu investieren zu wollen. Das sind die Dimensionen, mit denen wir es bei KI zu tun haben. Nur wer bereit ist, in Technologieführerschaft zu investieren, kann auch ethische und rechtliche Standards setzen und strategische Abhängigkeiten verhindern. Huawei lässt grüßen.
Unsere Verkehrsinfrastruktur war einst top. Heute ist sie unterfinanziert und verfällt. 12% der rund 40.000 Brücken an Bundesstraßen und Autobahnen sind in einem nicht ausreichenden oder gar ungenügenden Zustand. Binnenschiffer leiden unter altersschwachen Schleusen, die im Durchschnitt 75 Jahre alt sind. Manche stammen noch aus dem Kaiserreich. Der Nord-Ostsee-Kanal ist die meistbefahrenste künstliche Wasserstraße der Welt und entsprechend bedeutsam für den Warenverkehr. Über Jahre hat man die Unterhaltung der Infrastruktur vernachlässigt. Sie muss jetzt in einem teuren Kraftakt nachgeholt werden.
Die Qualität der Deutschen Bahn ist ein Dauerthema und für so manche auch ein Ärgernis. 2017 hatte sie allein im Fernverkehr 142 Millionen Fahrgäste. Ein Rekord und eigentlich ein Grund zum Feiern. Doch die Bahn gilt als Sanierungsfall, ihre Infrastruktur hält mit der Entwicklung nicht Stand und müsste erneuert werden. Zumal die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag die Fahrgastzahl bis 2030 verdoppeln möchte. Hinzu kommt, dass rund 1.100 Eisenbahnbrücken abgerissen und durch neue Brücken ersetzt werden müssen.
Die Deutsche Bahn wurde kaputt gespart. Deutschland investiert laut der Allianz pro Schiene pro Kopf 69 Euro in sein Schienennetz. In der Schweiz liegt die Vergleichssumme bei 362 Euro. Auch anderen Nachbarländern wie der Niederlande (128 Euro), Dänemark (160 Euro) oder Österreich (187 Euro) ist das Netz deutlich mehr Wert. Jetzt bräuchte es Investitionen in Milliardenhöhe, wenn die Verkehrswende nicht nur eine Floskel bleiben soll.
Neubau, Sanierung oder Modernisierung, heute in der Regel verbunden mit Digitalisierung, sind grundsätzlich kein Problem. Problematisch wird es, wenn man zu lange wartet und die Vorhaben sich türmen. Dann kommt man auch bei reichlich Geld mit Planung und Umsetzung nicht mehr nach. Die Folge sind Staus, Stress, Fahrverbote für Schwertransporte, Lieferengpässe, ein anfälliges Schienennetz, Verspätungen, Funklöcher, baufällige Schulen und irreversible ökologische Schäden.
Hinzu kommt der fatale Eindruck bei den Betroffenen, dass unser Land und seine Institutionen nicht funktionieren. Dabei hängt die Wertschätzung unseres demokratischen Gemeinwesens durch die Bürgerinnen und Bürger auch davon ab, ob sie die öffentliche Einrichtungen und Infrastruktur im Alltag positiv erleben. Die im OECD-Vergleich hohe Steuerquote sollte sich auch in der Qualität öffentlicher Einrichtungen und öffentlicher Infrastruktur abbilden. Das tut sie nicht.
2. Was ist die Ursache? Wir haben die öffentlichen Investitionen vernachlässigt
Diese Beispiele zeigen: Wir leben von der Substanz. Das meint sowohl Beton als auch Köpfe. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Substanz verschleißt, wenn man sie nicht pflegt und erneuert. Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Die Auseinandersetzung mit der Staatsverschuldung hat dazu geführt, dass wir öffentliche Investitionen vernachlässigt haben. Die Bilanz der vergangenen Wahlperiode verdeutlicht es. Von 2014 bis einschließlich 2017 hat der Staat laut Daten des Statistischen Bundesamtes insgesamt 266 Mrd. Euro in seine Infrastruktur investiert (sog. Bruttoanlageninvestitionen). Der Werteverlust durch Abschreibungen beträgt im selben Zeitraum allerdings 271 Mrd. Euro. Die öffentlichen Nettoinvestitionen lagen somit im Minusbereich – und das in einem Zeitraum, in dem der Staat Milliardenüberschüsse erzielt hat.
Man kann für diese Rechnung auch einen längeren Zeitraum wählen: Auch von 2000 bis 2018 betrachtet sind die öffentlichen Nettoinvestitionen negativ. Deutschland lebt bei der Infrastruktur von der Substanz und beansprucht diese zugleich, gemessen an der steigenden Wirtschaftsleistung, immer intensiver.
Negative Nettoinvestitionen des Staates sind nicht per se gleichbedeutend mit einem Verschleiß der Infrastruktur. Auch abgeschriebene Güter können noch in Ordnung sein und produktiv genutzt werden. Entscheidend ist der konkrete Zustand. Aber dass genau dieser problematisch ist, zeigt der schleppende Ausbau von schnellem Internet oder der Zustand von Brücken und Schienen. Noch klarer wird es mit einem Blick auf die Kommunen.
Dort sind die Nettoinvestitionen seit 2003 Jahr für Jahr im Minusbereich. Seit 15 Jahren wird die kommunale Infrastruktur genutzt, ohne ausreichend in den Erhalt oder in die Modernisierung zu investieren. Der von den Kommunen angegebene Investitionsrückstand beläuft sich inzwischen auf 159 Mrd. Euro. Davon entfallen 39 Mrd. Euro auf Straßen und Verkehr, bei Schulen beträgt der Nachholbedarf sogar 48 Mrd. Euro. Dagegen wirken auch die für den Digitalpakt vorgesehenen fünf Mrd. Euro mickrig.
An dieser Stelle könnte der Einwand kommen, dass der Staat nicht zu wenig Geld zur Verfügung stellt. Das Problem sei vielmehr, dass vorhandene Gelder nicht abgerufen werden. Tatsächlich liegen Mittel ungenutzt im Bundeshaushalt und fließen nicht ab. Ein Grund dafür ist, dass in der Bauwirtschaft und in Handwerksbetrieben momentan kaum freie Kapazitäten vorhanden sind.
Das liegt allerdings auch daran, dass die öffentliche Hand in der Vergangenheit als kluger Investor ausgefallen ist. Wenn Investitionen in Erhalt und Modernisierung über einen längeren Zeitraum ausbleiben, dann werden Stellen in Unternehmen und in öffentlichen Planungs- und Bauämtern nicht geschaffen oder besetzt. Dieses Personal wurde über Jahre hinweg vernachlässigt. Im öffentlichen Dienst gibt es inzwischen einen Ingenieurmangel. Verfestigte Investitionshemmnisse lösen sich nicht über Nacht auf. Auch deshalb ist es klüger und am Ende günstiger, kontinuierlich in die Modernisierung der Infrastruktur zu investieren.
Die Haushaltsplanung der Bundesregierung lässt leider keine Veränderung erkennen. Während der Gesamthaushalt von 356 Mrd. Euro (2019) auf 375 Mrd. Euro (2023) steigt, sollen die Investitionen eingefroren werden. Die Folge ist eine sinkende Investitionsquote. Ausgerechnet der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) soll im Jahr 2020 um rund eine halbe Milliarde geringer ausfallen als 2019. Bei keinem anderen Ressort soll mehr gekürzt werden. In 2023 soll der Rückgang dort gar fast 700 Millionen Euro betragen, während das Gesamtbudget um 19 Mrd. wächst. Der Bundesfinanzminister hat erklärt, er setze die „richtigen“ Prioritäten. Wo allerdings wieviel gekürzt oder investiert wird, ist offenbar nachrangig, solange die „schwarze Null“ steht. Das ist ökonomisch fatal und
gesellschaftlich unverantwortlich. Spätestens hier erkennt man, dass die „schwarze Null“ eben kein hinreichender Maßstab für kluges Haushalten ist.
3. Welche Denkweise steckt dahinter? Die „schwarze Null“ ist zum Selbstzweck geworden
Die Schuldenbremse ist nach wie vor grundsätzlich ein richtiges und wichtiges Instrument. Angesichts der Überschüsse in den vergangenen Jahren kann sie auch nicht für ausgebliebene Investitionen verantwortlich gemacht werden. Vielmehr musste die Schuldenbremse angesichts der guten Haushaltslage noch keinen Härtetest bestehen. Dieser wird kommen, wenn die Steuereinnahmen zurückgehen.
Nicht zu vergessen ist, dass die Schuldenbremse auch Steuersenkungen erschwert. Das hat sie im endenden Jahrzehnt durchaus unter Beweis gestellt. Ob diese im konkreten Fall sinnvoll oder widersinnig wären, steht auf einem anderen Blatt. Umgekehrt kann sie allerdings dazu führen, dass der Ruf nach Steuererhöhungen lauter wird, wenn die Einnahmen des Staates die Ausgaben nicht decken.
Inzwischen trübt sich unsere Konjunktur ein, auch wenn dafür vor allem politische Unsicherheiten wie Handelsstreitigkeiten und der Brexit verantwortlich sind. Der IWF hat die Wirtschafts-Prognosen für Deutschland deutlich nach unten korrigiert. Wurde ursprünglich für 2019 ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 2,1% erwartet, so liegt der korrigierte Wert nun bei 0,8%. Der Bundeswirtschaftsminister rechnet gar nur mit 0,5% für das laufende Jahr.
Zwar bietet die Schuldenbremse schon heute die Möglichkeit, in geringem Maße Kredite im Rahmen von 0,35% des Bruttoinlandsprodukts aufzunehmen. Doch kein Finanzminister möchte der erste sein, der die Nullverschuldung reißt.
Um die Haushaltsführung Deutschlands zu begründen, wird gerne die berühmte schwäbische Hausfrau bemüht. Doch selbst sie würde nicht so wirtschaften. Es stimmt, man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben. Aber ein wichtiger Aspekt dieser Verhältnisse ist, dass die Zinsen derzeit niedriger sind als das Wachstum. Das spricht dafür, Kredite für Investitionen in die Infrastruktur nicht dogmatisch abzulehnen. Entscheidend ist aber die Frage, ob sie sich rechnen.
Der Staat wäre besser beraten, sich an der schwäbischen Unternehmerin zu orientieren. Sie weiß, dass Investitionen von heute das Vermögen von morgen sind. Investitionen, die die Infrastruktur, Wettbewerbsfähigkeit und Lebensqualität der Bevölkerung verbessern, sind mindestens so wichtig wie Sparsamkeit und gehören ebenso zu einer soliden Haushaltsführung. Es ist nicht allein die Quantität von Verbindlichkeiten relevant, sondern auch ihre Qualität. Es macht eben einen Unterschied, ob Kredite dem Konsum dienen oder als Investitionen der Zukunft eine Rendite einbringen.
4. Was ist die Lösung? Wir brauchen eine Investitionsregel
Die Schuldenbremse hat Vertrauen geschaffen. Dazu hat auch zunächst die „schwarze Null“ beigetragen. Inzwischen ist sie jedoch als aufgeladenes Symbol zum Selbstzweck geworden. Investitionen haben schlichtweg nicht dasselbe „Prestige“. Das ist ein Irrweg.
Es wäre aber falsch, in der jetzigen Situation eine extreme Antwort zu geben und die Schuldenbremse abzuschaffen. Vielmehr ist jetzt die Gelegenheit, einen klugen Weg zu finden, so dass der Staat solide haushaltet und zugleich in verschiedenen wirtschaftlichen Situationen angemessen agieren und reagieren kann.
Wir würden besser fahren, wenn wir mit der Schuldenbremse einen größeren Spielraum für gezielte Investitionen bieten würden. Das würde aus unserer Sicht auch die Akzeptanz der Schuldenbremse stärken, sobald Überschüsse ausbleiben.
Welche Möglichkeiten gibt es, um zu mehr Investitionen zu kommen?
Eine Option ist, die Schuldenbremse durch eine Investitionsregel zu ergänzen, die sich am Werteverlust der Infrastruktur orientiert. Sie könnte Investitionen in mindestens der Höhe vorschreiben, um den Kapitalstock konstant zu halten. Zu diesem Zweck wäre eine gründliche Bilanzierung des öffentlichen Vermögens notwendig. Eine genaue und nachvollziehbare Übersicht über die Vermögenswerte des Staates ist ohnehin angebracht. Der Bundesrechnungshof und die Landesrechnungshöfe können hier wertvolle Expertise einbringen.
Die Schuldenbremse könnte auch auf die Schuldenquote reagieren und auf dieser Basis den Spielraum für Investitionen bestimmen. Es macht einen Unterschied, ob die Schuldenquote des Staates bei 80% des Bruttoinlandsprodukts liegt oder bei 50%. Bei einer niedrigen Schuldenquote könnte der Spielraum für Kredite – ausdrücklich nur für Investitionen – erhöht werden. Dieser Gedanke ist im Maastricht-Regime ausdrücklich verankert.
In einer weiteren Möglichkeit könnte sich der Staat bei bestimmten Investitionen über einen öffentlichen Investitionsfonds mehr finanziellen Handlungsspielraum mittels Kreditaufnahme verschaffen. Die Schuldenbremse würde dabei nach wie vor für konsumtive Staatsausgaben gelten.
Es gibt diese und weitere Möglichkeiten, die derzeit unter Ökonomen diskutiert werden. Entscheidend ist, dass wir diese Alternativen jetzt im öffentlichen und politischen Raum diskutieren. Eine gute Alternative bemisst sich für uns daran, dass sie die Schuldenbremse nicht grundsätzlich in Frage stellt und damit unser Grundgesetz achtet. Sie bemisst sich aber ebenso daran, dass Bund, Länder und Kommunen künftig in der Lage sind, in die Infrastruktur, in Klimaschutz und ökologische Modernisierung, in Bildung und Forschung zu investieren und diese Investitionen auch tatsächlich erfolgen. Gerade die Möglichkeiten der Kommunen sind hier, gemessen an der finanziellen Situation, regional sehr unterschiedlich.
Daher betrifft diese Debatte sowohl die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes als auch die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Sie sollte politisch mutig geführt werden. Im nächsten Jahrzehnt wird es vor allem darum gehen, ob wir die Modernisierung von Infrastruktur und öffentlichen Institutionen, den technologischen Wandel in allen Lebensbereichen und die ökologische Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft wirklich hinbekommen. Dazu bedarf es enormer Investitionen, die über die reine Symbolpolitik der „schwarzen Null“ weit hinausreichen.