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20095 Hamburg
Ja, Arbeit sollte sich immer lohnen, auch materiell, und wir als Politikerinnen und Politiker sind selbstverständlich aufgefordert, dies sicherzustellen. Das Thema, dass wir darauf achten müssen, ob gerade Durchschnitts- und Geringverdiener aktuell zu stark durch Steuern und Sozialabgaben belastet werden, wollen wir angehen, und das werden wir auch angehen. Sie gehen es nicht an. Gut ist, dass Sie jetzt einmal zuhören dürfen.
Wenn man mit Armut argumentiert und fordert, dass sich die Lebenssituation von Geringverdienern oder auch anderen Arbeitnehmern verbessert, dann ist erst einmal absolut wichtig und richtig, zu sagen: Dafür sind Löhne verantwortlich, dafür ist in einer freien Wirtschaft nicht per se der Staat verantwortlich. - Damit wir gute Löhne haben, brauchen wir eine stärkere Tarifbindung. Es muss leichter gemacht werden, Branchenmindestlöhne zu verabschieden. Darüber können Sie einmal nachdenken. Wir brauchen sowieso einen höheren Mindestlohn. Die Mindestlohnkommission muss gestärkt werden.
Was wir auch brauchen, "liebe AfD", ist ein europäischer Mindestlohn, der in den jeweiligen Ländern die Produktivität dieser Länder berücksichtigt und auch dort vor Armut schützt. Er würde Europäerinnen und Europäer vor zu geringen Löhnen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland vor einem falschen Dumpingwettbewerb in einem offenen Europa schützen. Es ist doch nicht so schwer, das zu verstehen. Dafür müssen Sie nur einmal Europa positiv in den Mund nehmen. Das können Sie natürlich aus ideologischen Gründen nicht.
Ich komme noch einmal zu Ihrem Antrag, der ja das interessante Thema Sozialabgaben aufmacht. Ich kann nicht umhin, auf die Gegenfinanzierung zu schauen. Sie versprechen das Blaue vom Himmel: 36 Milliarden Euro für die Sozialversicherung in Form eines Freibetrags, der dann insbesondere für niedrige Einkommen wirken soll. Bei der Gegenfinanzierung sollen 5,4 Milliarden Euro von alleine wieder in die Kasse kommen. Das ist diese unseriöse Art: Wir geben da etwas aus, und irgendwie werden die Leute dadurch schon mehr Geld ausgeben, und über den Konsum füllen wir dann die Steuerkassen. Mit solchen Versprechen hat der Haushalt in Deutschland noch keine guten Erfahrungen gemacht.
Der nächste Punkt neben der Unseriosität ist noch viel schlimmer: Er ist unsozial. Sie wollen das Programm des sozialen Arbeitsmarkts ersatzlos streichen. Dabei ist gerade dieser für die Menschen wichtig, die langzeitarbeitslos sind und die Unterstützung brauchen, um überhaupt wieder Fuß zu fassen.
Den allergrößte Batzen von über 20 Milliarden Euro - ja, in der Tat, das haben Sie gesagt - will man zur Verfügung stellen, indem man bei der Finanzierung Europas kürzt. Da muss man sich wirklich einmal die Dimension anschauen. Sie schlagen für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen vor, die Finanzierung Europas mal eben so um 80 Prozent einzusparen. Sie wollen damit die europäischen Programme abwickeln. Schauen wir uns einmal die Liste an, wofür keine Mittel mehr zur Verfügung gestellt werden sollen: nichts mehr für den Europäischen Sozialfonds, nichts mehr für die regionale Entwicklung in Europa, gar nichts mehr für den Kohäsionsfonds, nichts mehr für das Reformhilfeprogramm und andere Dinge. Auch den Europäischen Verteidigungsfonds - brauchen wir angeblich null und gar nicht. Das ist nicht nur das Blaue vom Himmel, weil es so nicht kommen wird, sondern es ist extrem antieuropäisch. Da fragt man sich, ob diese Partei überhaupt irgendeine Stimme bekommen sollte. Denn Sie stellen sich nicht die Frage, ob wir in Europa mit unserer regionalen Heimat, mit unserer regionalen Identität weiter zusammenwachsen wollen. Sie wollen Europa abwickeln; dafür haben Sie sich entschieden. Das ist zukunftsfeindlich.
Es ist wieder dieses typische Prinzip, Menschen gegeneinander auszuspielen. Denn Sie locken die Leute damit, dass wir milliardenschwere soziale Versprechen in Deutschland einlösen könnten, wenn wir das entsprechende Geld anderen und unserer Solidarität in Europa entzögen. Wissen Sie, das ist nicht nur zutiefst antieuropäisch - das kann man ja so vertreten, wenn man das möchte -, sondern es ist in einer globalisierten Welt auch eine komplett naive Illusion.
Sie haben jeden Grund, sich einmal anzuschauen, wie sicher die Brexiteers in Großbritannien agieren. Bei der Abwicklung des Austritts aus der Europäischen Union ist Chaos ausgebrochen. Das ist natürlich heute auch getrieben von Sorge und Angst, weil man jetzt spürt, welche Auswirkungen er auf das Land, auf die dortige Wirtschaft und auf die dortigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirklich hat. Wer glaubt, durch einen Rückzug aus europäischer Solidarität oder aus der Europäisierung von Standards irgendeinen Gewinn für unseren heimischen Arbeitsmarkt zu ziehen, der kann nur ein Illusionär sein oder jemand, der die Leute schlicht hinter die Fichte führt.
Deswegen ist es gut, dass die Mehrheit in unserem Land diesen Ideen eine Absage erteilt. Wir haben keine antieuropäische Stimmung. Ihre sozialpolitischen Versprechen sind unseriös, zutiefst europafeindlich und dürfen deswegen auch nicht realisiert werden. Herzlichen Dank.